Der Weitblick eines Greifvogels verleiht Flügel, um Grenzen zu überwinden und dabei völlig neue Horizonte zu überblicken. Dankenswerterweise gibt mir die Frankfurter Neue Presse seit einiger Zeit prominenten Raum, um die so gewonnenen Kenntnisse in Form adleraugenzwinkernder Glossen auf der Titelseite zu veröffentlichen. Hier eine kleine Auswahl:
Blei im Hintern
Der Mensch ist schon ein seltsam emotionales und hochintelligentes Wesen. Er ist geschockt von Dürren und Waldbränden, fordert Anpassungen an die zunehmende Erhitzung und vergeigt dabei eine Klima- und Energiekonferenz nach der anderen. Gleichzeitig spioniert er die Bau- und Klimatechnik seiner scheinbar triebsgesteuerten Mitgschöpfe aus, investiert teures Geld in Spezialkameras und Tierroboter, genannt Animatronics. Dannt staunt er wahre Holzklötze über fleißige Ameisen, die ihren Bau außen mit hellen und dunklen Steinchen abschotten, um ihn im Sommer zu kühlen und im Winter muggelig warm zu halten. Und über Einsiedlerkrebse auf ihrer Abfall- und Klimakonferenz zur Umsiedlung ihrer mobilen Gehäuse: Jedes Schneckenhaus wird dabei vor dem Gruppenumzug clever auf die nötige Raumgröße abgecheckt, um sich mit dem verletzlichen Endkörperteil zu schützen. Ein Krebsroboter huscht mit seinen digitalen Kameraaugen einem Nachzügler hinterher, der unter eine kleine Plastikdose schlüpft und sie zur Notunterkunft recycelt. Doch statt ziellos rumzukrebsen, wuselt er clever und klippenkrabbenflink über den Strand, bis er eine Wohneinheit aus natur- und umweltfreundlicher Kalkschale gefunden hat, die seinen Bedürfnissen entspricht. Kein Wunder, denn die übergestülpte Plastikdose verwandelt sich unter der heißen Sonne in ein Treibhaus und macht ihm regelrecht Feuer unter seinem weichen Hinterteil. Und was treibt die intelligente Menschheit an, in ihren zahllosen Aktivitäten, Versammlungen und Konferenzen? Verglichen mit den emsigen Krebsen hat sie regelrecht Blei im Hintern.
Hirnlastig
Das moderne Gehirn ist oft überfordert, leistet Schwerstarbeit und kommt dabei kaum noch zur Ruhe. Hochsensible Wörter, Zahlen, Zeichen, überall gehen die Warnlichter an, da das Sprach- und Rechenzentrum pausenlos getriggert wird. Etwa beim Wort „Duell“, heute ein harmloser, sportlicher Wettstreit, doch im Ursprung ein Zweikampf auf Leben und Tod. Und erst recht beim „Anschlag“, der sofort eine Attacke oder gar ein Attentat signalisiert. Dabei braucht es für Computer und Schreibmaschinen zahllose Anschläge, um Abstände und Zeilenlängen richtig einzustellen. Völlig harmlos, doch der geplagte Schöngeist des wortgewandten Schreiberlings gerät spätestens dann in Alarmbereitschaft, wenn es um Honorare und Tantiemen geht und die produzierten Textmenge anhand der angeschlagenen Tasten hochgerechnet werden soll. Ein Attentat, das den kompletten Denkapparat lahmlegt und sich an der existentiellen Frage aufhängt: Was bitte ist denn nun ein Anschlag? Denn je nach System und korrektem Rechenmodus werden hier Leerzeichen entweder gar nicht oder Großbuchstaben sogar doppelt gezählt, da ja Umstell- und Buchstabentaste gleichzeitig zu betätigen sind. So kann am Ende ein einfacher Satz mit neun Wörtern und 55 Buchstaben aus bis zu 71 Anschlägen bestehen! Wer da kein begnadeter Mathematiker ist, mag sich sein Hirn darüber zermartern, welch höhere Dialektik solchen komplexen Zähl- und Hochrechnungssystemen zugrunde liegen mag. Götz George drückte es als deutsch-deutscher Werbestratege Wolfgang Schulz drastisch aus: „Das ist doch hirnlastig!“